Notizen zu Elisa Jule Brauns „Depressed Animals“

Zu den antiquierten Formen der Bemächtigung von Natur gehört der Zoologische Garten. Tiere jeglicher Größenordnung und Herkunft werden dort eng gelagert. Jede Schachtel dieser lebenden Archive ist mit der Angabe der Provenienz der kostbaren Kulturgüter versehen. Kein Weg wäre zu weit, keine Anstrengung zu groß, um nicht die fragilsten Exemplare mit allerhand technischem und diplomatischem Geschick in die Verwahrung des Tiergartens zu überführen und in der kontrollierten Kulisse üppiger Miniaturwelten auszustellen.

Berührend ist die Reaktion der unfreiwilligen Insassen. Anstatt sich nach ihrer Freiheitsberaubung resigniert in einer Käfigecke dem baldigen Tod hinzugeben, dehnen sie bisweilen den Zeitraum des Sterbens durch eine Reihe stereotyper Gesten aus. Bei zahlreichen in Gefangenschaft lebenden Tieren lassen sich repetitive Bewegungen beobachten. Es scheint, als ob die an einem Ort festgesetzten Lebewesen ihre Lage derart neu bestimmen: Ein sich tief in den Sand des Geheges einschreibender Trampelpfad trägt Zeugnis vom bedrückenden Versuch, dem eingeschränkten Lebensraum eine eigene, schier unendlich werdende Dimension zu verleihen. Im wiederholten Abschreiten des Weges sendet sich ein unüberhörbarer Morsecode des Leidens. Es ist allein der menschlichen Gewöhnung zuzuschreiben, dass diese offen ausgestellte Ungeheuerlichkeit auch in Zeiten der politischen Solidarisierung mit nichtmenschlichen Wesen oder gar unbelebten Dingen fortbesteht. Das Leben der Zootiere stagniert in einer prekären Existenz von ungewisser Dauer.

Weniger offen zwanghaft, jedoch umso deprimierender ist die Existenz der animierten Heimgeräte. Die auf eine automatisierte Dienstleistung hin ausgerichteten Werkzeuge bevölkern das Zuhause zumeist gemeinsam mit Haustieren in Abwesenheit ihrer Besitzer. Implementiert man in diese intelligenten Dinge das zum Programm gewordene Bewegungsmuster animalischer Stereotypien, enthüllt sich eine sonst unterdrückte Verbundenheit mit den Dingen. Der Ethnologe Alf Hornborg hat diese Dissoziation als politische Strategie der kapitalistischen Moderne identifiziert, deren Ausbeutung biologischer und stofflicher Ressourcen nur in einer Aufrechterhaltung der cartesianischen Unterbindung der Verbundenheit belebter und unbelebter Entitäten möglich sei.Vgl. Hornborg 2012, S. 57 f.

Elisa Jule Brauns Arbeit verschränkt ebenjene sonst disparaten Bereiche. Für die Installation hat sie den lethargischen Gang eines Ameisenbären in das Fahrtprogramm eines handelsüblichen Staubsaugerroboters übertragen. Die Videoaufnahmen der ursprünglichen Bewegung begleiten im Hintergrund den befremdlichen Anblick der hybriden Situation. Beginnen sich unbelebte Objekte, zumal mit der zweifelhaften Aktivität verhaltensgestörter Tiere ausgestattet, in Bewegung zu setzen, bricht das Geisterhafte aus den sonst so harmlosen Dingen heraus. Der Anblick einer sinnlosen Tätigkeit eines Computers lässt uns erschaudern. Im Sinne der Idee der Latour’schen Quasi-Objekte sind programmierte Staubsaugerroboter eben nicht mehr bloße Dinge. In ihnen verschränken sich die anthropozäne Politik der Urbarmachung belebter und unbelebter Rohstoffe mit technischen Geräten und menschlichen Befehlen.Vgl. Latour 2008, S. 119

Diese unbehagliche Verschränkung von Mensch, Tier und Technik ist das Signet der auf informatischen Ökologien beruhenden Postmoderne. Folgt man dem Medientheoretiker Vilém Flusser, endet mit dem Computer das Zeitalter der Handlung. Flusser streicht die Hand aus der Anatomie des nun als Programmierer verstandenen Menschen. Arbeit wird nun als Wahl eines Befehls mit den Fingerspitzen gedacht. Das Leben richtet sich in einer neuen Umgebung ein, die potenziell unbegreiflich ist.Vgl. Flusser 1993, S. 86 f. Dass diese Aufhebung der Stofflichkeit von Arbeit trügerisch und nicht mit dem Einzug einer uneingeschränkten Freiheit zu verwechseln ist, lässt sich ebenfalls in Flussers Texten zu den Apparaten nachlesen. An den Fingern des Programmierers hängt die Welt als programmierte Welt, die jeweils nur die Wahl binärer Optionen laut Vorschrift zulässt.Vgl. ebd. S. 87 f. Das Resultat kann nur eine kulturelle Ödnis sein.

Das, was uns an den unproduktiven Routinen der Roboter und am Wiederholungszwang psychisch gestörter Tiere erschüttert, ist schließlich ihre grauenhafte Entsagung produktiver Arbeit im herkömmlichen Sinne. Eine vormals auf Wertzuwachs und Innovation abzielende Handlungslogik kündigt sich nun in den zum Symbol gewordenen Bewegungsschleifen auf. Anstelle dessen: Persistenz, Repetition und Präfiguration. Die nur auf ihre eigene Existenz bezogene Sinnhaftigkeit macht Brauns Wesen zu Gespenstern einer sich entsagenden Zukunft. Ihr Anblick lässt uns fühlen, was Mark Fisher mit der hautologischen Melancholie beschrieben hat.Vgl. Fisher 2015, S. 36–39 und 43 f. Der Mensch, das depressed animal.

Vgl. Hornborg 2012, S. 57 f.
Vgl. Latour 2008, S. 119
Vgl. Flusser 1993, S. 86 f.
Vgl. ebd. S. 87 f.
Vgl. Fisher 2015, S. 36–39 und 43 f.

Literature

Fisher, M.: Gespenster meines Lebens – Depression, Hauntology und die verlorene Zukunft. Berlin 2015

Flusser, V.: Dinge und Undinge – Phänomenologische Skizzen. München 1993

Hornborg, A.: Animismus, Fetischismus und Objektivismus als Strategien der Welt- (v)erkenntnis. in: Albers, I.; Franke, A. (Hg.): Animismus – Revisionen der Moderne. Zürich 2012

Latour, B.: Wir sind nie modern gewesen – Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Frankfurt a. M. 2008